Bemannt, Forschung & Entwicklung, Interstellar

The Final Frontier? – Teil II

Wer über Generationenschiffe nachdenkt, kommt nicht um die Frage herum, wie es im All mit der Fortpflanzungsfähigkeit aussieht. Bei den rein technischen Aspekten, dem Sex an sich also, können wir wohl getrost auf den menschlichen Einfallsreichtum vertrauen. Bei Befruchtung, Schwangerschaft und Geburt wird’s hingegen schon etwas kniffliger.

Ein Faktor für Probleme ist ganz simpel der Stress. Viele Frauen werden bestätigen können, dass körperliche und psychische Belastung den Zyklus erheblich beeinträchtigen kann. Ähnliches gilt für die Libido bzw. den Testosteronspiegel bei Männern. Hier wäre es ggf. erforderlich, über eine Hormoneinnahme gegenzusteuern. [1]

Eier legende und wirbellose Lebewesen scheinen zumindest, was die reine Befruchtung in vivo angeht, hingegen weniger Probleme zu haben. (Die Entwicklung von Embryo bzw. Fötus ist allerdings eine andere Sache, wie wir noch sehen werden.)

So far, several experiments on reproduction in such environments have been reported using sea urchins, fish, amphibians and birds, and the fertilization rates were similar to those found in controls at normal gravity (1g) (…). However, unlike the other taxa studied to date, mammalian reproduction is complicated and highly specialized. [2]

Da hätten wir bei Säugetieren zunächst die Frage der Qualität von Spermien und Eizellen. Sie sind im All erhöhter Strahlung ausgesetzt – Spermien noch mehr als Eizellen -, so dass wir eine Schädigung des Erbmaterials nicht ausschließen können. Bei längeren Aufenthalten im All (wir erinnern uns: Strahlungsrisiken sind über die Zeit kumulativ) könnte dies entweder zu eingeschränkter Fruchtbarkeit bzw. kompletter Unfruchtbarkeit führen, zu Fehlgeburten oder zu Schäden am Organismus des Kindes.

Zwar kann man Strahlungseinwirkung durch entsprechend angepasste Fahrzeuge und Kleidung erheblich reduzieren, aber leider ist es damit alleine noch nicht getan. Studien mit Mäusen haben gezeigt, dass auch die Schwerelosigkeit ein Problem darstellt. Die Eizellen lassen sich zwar in vitro befruchten, nisten sich jedoch unter Mikrogravitation wesentlich schlechter ein als bei der Kontrollgruppe unter 1g. Konkret bilden sie zu wenig Trophektoderm-Zellen. Das sind die Zellen, aus denen sich die Plazenta entwickelt. Infolgedessen treten Schwangerschaften gar nicht erst ein oder die Embryonen werden nach einiger Zeit vom Körper der Mutter resorbiert. Studien mit Ratten wiederum weisen außerdem bei den Männchen auf geringere Spermienzahl und -qualität unter Mikrogravitation hin, was wiederum die Befruchtung an sich beeinträchtigt. [2]

Weitere Forschungsergebnisse deuten in die selbe Richtung. So stellte Joseph Tash von der Universität Kansas fest, dass Mikrogravitation die Aktivierung von Enzymen verlangsamt. Von ihm untersuchtes Seeigelsperma erwies sich als quasi hyperaktiv, eine Beobachtung, die auch auf Bullensperma zuzutreffen scheint. Die Ursache liegt zumindest beim Seeigelsperma darin, dass das Enzym, das einen Bewegungsstop veranlasst, unter Schwerelosigkeit nur mit Verzögerung in Aktion tritt. Tash weist zu recht auf die Gefahr hin, dass dies auch auf weitere Enzyme zutreffen könnte, wie zum Beispiel bei der Abgabe der Spermien-DNA an die Eizelle. [3, 4] Problematisch ist also unter Mikrogravitation nicht nur die jeweilige Qualität, sondern auch das Zusammenspiel der Keimzellen.

Wahrscheinlich haben wir hier einen der Gründe, warum z.B. 1979 keine der Ratten, die die sowjetische Raumfahrtagentur in ihrem Biosatelliten Kosmos-1129 in den Orbit geschossen hatte, schwanger wieder auf der Erde ankam. Alle Ratten, die an diesem Experiment beteiligt waren, konnten sich jedoch anschließend mit neuen Partnern unter normalen Bedingungen problemlos fortpflanzen. Allerdings erst nach einigen Monaten, mit Spermien, die wieder unter 1g entstanden waren. Die Spermien, die noch aus der Zeit der Erdumrundung stammten, zeugten auch auf der Erde noch schwer beeinträchtigten und zum Teil lebensunfähigen Nachwuchs: „Abnormalities included physical retardation, showed growth retardation, hemorrhages, hydrocephaly, ectopic kidneys, and enlargement of the bladder.“ [5] Die selbe Studie weist darauf hin, dass die Neugeborenen ein geringeres Geburtsgewicht haben, die Geburt an sich länger dauert und selbst in der 2. Generation die Sterblichkeitsrate der Babys noch erhöht ist.

Doch damit nicht genug, denn es ist sogar bei den Tieren mit Problemen zu rechnen, bei denen die Befruchtung unter Mikrogravitation relativ problemlos klappt. Wie zum Beispiel bei Zebrafischen: „Gross observations and morphometric analyses show that exposure to simulated microgravity results in stunted growth, reduced ossification and severe distortion of some skeletal elements.“ [6]

Die Keimzellentwicklung und auch die Befruchtung unter Schwerelosigkeit führen also zu zahlreichen Problemen. Was aber, wenn man stattdessen bereits schwangere Tiere der Mikrogravitation aussetzt, bei denen Keimzellentwicklung und Einnistung noch bei 1g stattgefunden hat? Leider sieht es hier nicht viel besser aus. Bedenkliche Resultate finden sich u.a. bei Ratten, die ca. 10 Tage nach der Befruchtung ins All befördert und nur kurz vor der Geburt ihres Wurfes wieder zurück auf die Erde geholt wurden. Die Neugeborenen hatten u.a. Orientierungsschwierigkeiten und eine beeinträchtigte Motorik und konnten sich nicht vom Rücken auf den Bauch drehen. [7, 9] All dies ist auch unmittelbar für Menschen relevant. Denn spätestens in der 26 Schwangerschaftswoche hat ein menschlicher Fötus eine Masse erreicht, ab der er nicht mehr im Fruchtwasser suspendiert, sondern ebenfalls der Schwerkraft ausgesetzt ist. Fehlt dieser Faktor bis zur Geburt, befürchten Forscher u.a. auch eine anormale Muskelentwicklung (inklusive Herzfehler) und eine gestörte Knochenbildung. [8]

Nun haben aus naheliegenden Gründen natürlich noch keine entsprechenden Experimente mit Menschen stattgefunden. Aber man muss aus den bisherigen Forschungsergebnissen mit kleineren Säugetieren wohl bereits den Schluss ziehen, dass für unsere erfolgreiche Fortpflanzung im All nicht nur Strahlenschutz, sondern auch simulierte 1g-Schwerkraft unverzichtbar ist. Und zwar interessanterweise auch dann, wenn wir irgendwann in ferner Zukunft einen Planeten bevölkern sollten, der eine höhere Schwerkraft als die irdische besitzt. Denn Tash [3, 4] hat die für die Beweglichkeit der Spermien verantwortlichen Proteine in deren Flagellum identifiziert und auch nachgewiesen, dass bei > 1g die Beweglichkeit der Spermien geringer wäre als normal. Weitere Auswirkungen der Schwerkraft auf Fruchtbarkeit, Entwicklung des Kindes sowie die Schwangerschaft an sich sind ebenfalls mehr als wahrscheinlich: „In fact several studies have shown that (…) prolonged exposure to hypergravity from conception to weaning causes permanent deficits in gravity-dependent righting behaviors. Data on hypergravity and microgravity exposure suggest some changes in the otolith formation during development, in particular the size although these changes may actually vary with the species involved.“ [9]

Eine Anpassung (via Selektion) an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten würde vermutlich viele Generationen dauern und zahlreiche Hilfsmaßnahmen und -mittel erfordern. Viele Individuen wären erforderlich, um den Fortbestand der Spezies über so viele Generationen hinweg überhaupt zu gewährleisten. Eventuell jedoch ist eine Besiedelung von Himmelskörpern, deren Schwerkraft zu sehr von der irdischen abweicht, aber auch gar nicht wirklich ratsam.

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[1] AJ Tilbrook, AI Turner, IJ Clarke: „Effects of stress on reproduction in non-rodent mammals: the role of glucocorticoids and sex differences“, Rev Reprod May 1, 2000 5 105-113, doi: 10.1530/ror.0.0050105
[2] Sayaka Wakayama, Yumi Kawahara et al.: „Detrimental Effects of Microgravity on Mouse Preimplantation Development In Vitro“, PLoS ONE 4(8): e6753. doi:10.1371/journal.pone.0006753
[3] J. S. Tash, G. E. Bracho: „Microgravity alters protein phosphorylation changes during initiation of sea urchin sperm motility“ FASEB J. 13:S43-S54, 1999
[4] J. S. Tash, S. Kim et al.: „Fertilization of sea urchin eggs and sperm motility are negatively impacted under hypergravitational forces significant to space flight“ Biol.Reprod. 65 (4):1224-1231, 2001
[5] Serova LV, Denisova LA et al., „Reproductive function of the male rat after a flight on the Kosmos-1129 biosatellite“, Kosmicheskaia Biologiia i Aviakosmicheskaia Meditsina [1982, 16(5):62-65]
[6] Edsall SC, Franz-Odendaal TA: „An assessment of the long-term effects of simulated microgravity on cranial neural crest cells in zebrafish embryos with a focus on the adult skeleton.“, PLoS ONE PMID:24586670, DOI: 10.1371/journal.pone.0089296
[7] Serova LV, Denisova LA et al.: „General characteristics of an experiment to study the ontogeny of rats on board the Kosmos-1514 biosatellite“, Kosmicheskaia Biologiia i Aviakosmicheskaia Meditsina [1985, 19(2):49-53]
[8] Patricia A. Santy, Richard T. Jennings: „Human Reproductive Issues in Space“, Advances in Space Research, Volume 12, Issues 2–3, 1992, Pages 151–155, DOI: 10.1016/0273-1177(92)90102-4
[9] Bruce, Fritzsch: „The development of vestibular connections in rat embryos in microgravity“, Journal of Gravitational Physiology : a Journal of the International Society for Gravitational Physiology 1997, 4(2), S. 59 ff

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