Raumstationen

The Final Frontier? – Teil I

Na? Haben sie schon mal, oder haben sie nicht, die Astronauten?

Couple

Voyager, Golden Record. Copyright: NASA

Stimmt, die Rede ist von Sex, und zwar nicht zu Hause auf der Erde, sondern schwerelos in Shuttles oder Raumstationen. Gut, in den Anfängen der Raumfahrt war man vermutlich mit den technischen Herausforderungen der Mission beschäftigt genug. Anschließend lag der Schwerpunkt verständlicherweise auf Studien, die wichtigere Aspekte, wie z. B. das Nervensystem, Skelett und den Kreislauf, betreffen. Frauen an Bord waren ohnehin ein Thema für sich. Doch bereits 1973 spekulierte über die sich bietenden Möglichkeiten und Risiken niemand Geringeres als Isaac Asimov [1], und schon 1976 erschien immerhin eine russische Publikation über den Fortpflanzungsapparat von Ratten nach einem Raumflug [2]. Die Astronauten Mark Lee und Jan Davis traten 1992 sogar ihre Flitterwochen im damaligen SpaceLab an – sie hatten erst kurz vor dem Start heimlich geheiratet. Haben ausgerechnet diese beiden also tatsächlich auch nicht…?

Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien über Sex und Fortpflanzung im All – allerdings betreffen sie ausschließlich andere Tiere und Pflanzen. Doch was ist speziell mit Menschen? Das Thema beschäftigt die Gemüter offenbar nachhaltig: So berichtete der britische „Guardian“ im Jahr 2000 über eine Studie mit dem Titel „The Final Mission: Mir, The Human Adventure“, die sich später als Hoax herausstellte. Was eigentlich hätte klar sein müssen, denn die Crew der genannten Mission bestand nur aus Männern.* Bis heute, weit über 40 Jahre nach dem ersten bemannten Raumflug, findet sich kein verbriefter Bericht über Sex unter Astronauten, seien es Russen, Europäer, Chinesen, Japaner oder Amerikaner. In den Dokumenten der NASA findet sich nicht einmal der kleinste Hinweis darauf, wie das Thema Sex aktuell oder in Zukunft gehandhabt werden soll.

Einerseits ist dies erstaunlich, denn heutige Missionen auf der ISS dauern schon gerne mal ein halbes Jahr. Genug Zeit und Gelegenheit also, sich in jeder Hinsicht näher zu kommen, sollte man meinen. Zumindest die NASA sieht das jedoch anders. Von der nicht gerade für ihre Freizügigkeit bekannten amerikanischen Öffentlichkeit finanziert, vermeidet die NASA alles, was auch nur ansatzweise darauf hindeuten könnte, dass die Raumfahrer über unseren Köpfen Dinge veranstalten, die nicht direkt mit ihrer Mission zu tun haben. Mehr noch: Der „Astronaut Code of Professional Responsibility“ erlegt den Astronauten explizit die Verpflichtung zu einem „constant commitment to honorable behavior“ auf. Im ISS Crew Code of Conduct (PDF, S. 5) heißt es gar:

„No ISS Crew Member shall, by his or her conduct, act in a manner which results in or creates the appearance of: 1) giving undue preferential treatment to any person or entity in the performance of ISS activities;…“.

(Falls also zwei Astronauten schon einmal Sex im All hatten, dann tun sie angesichts ihrer Verträge gut daran, ihre Erlebnisse noch ein paar Jahrzehnte lang hübsch für sich zu behalten.) Die NASA lässt nicht einmal Ehepartner gemeinsam an Missionen teilnehmen; Lee und Davis waren die bisher einzige Ausnahme. Das alles erscheint auf den ersten Blick extrem prüde, hat aber durchaus einen Sinn: Zu enge persönliche Beziehungen könnten von der Arbeit ablenken, das Team spalten, die Befehlskette gefährden, Eifersucht hervorrufen oder sogar zu kriminellen Handlungen führen, wie der Fall der Astronautin Lisa Nowak 2007 bewies. Das ist die andere Seite der Medaille.

Nun steuern wir allerdings auf das Zeitalter von mehrjährigen Langzeitmissionen u.a. zum Mars zu. Das ist nicht mehr vergleichbar mit einem halben Jahr im Orbit auf der ISS. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich in dieser Zeit Paare bilden werden. Nähe und persönliche Verbundenheit sind mittel- und langfristig eine der Grundvoraussetzungen für psychische Gesundheit. Sex ist also beileibe nicht nur ein Risikofaktor. Statt das Thema weiter unter den Tisch zu kehren, muss die NASA daher ihre Hausaufgaben machen und sich dieser Herausforderung stellen, forderte schon vor Jahren die National Academy of Sciences.

Doch gehen wir einmal davon aus, das sei bereits geschehen, Sex an Bord von Raumfahrzeugen und -stationen sei erlaubt und es gäbe auch genug Rückzugsmöglichkeiten für die Partner. Klappt das denn ohne Schwerkraft überhaupt? Einen Anhaltspunkt bieten Erfahrungsberichte aus Parabelflügen: Die Künstlerin Vanna Bonta zum Beispiel fand es extrem schwierig, ihren Mann bei einem derartigen Flug auch nur zu küssen, ohne dass der gute alte Newton ihnen mit seinem 3. Gesetz dazwischen funkte und das Paar bei der kleinsten Bewegung wieder auseinander trieb. Es gelang erst in der 8. Parabel. An Sex war gar nicht erst zu denken. Was zunächst lustig klingt, kann im Ernstfall sogar schmerzhafte Verletzungen zur Folge haben. Doch an Ideen für Abhilfe mangelt es nicht:

The one place you don’t want to make love in space is in the sack! This is because the slightest movement against a rigid surface (such as a bed) imparts an upward impetus, and before you know it you’re bouncing off the ceiling, banging into furniture, and otherwise flying uncontrollably around the room. The only way to make it in bed is if at least one partner uses leverage straps, or both of you tether yourself to the bedposts (space bondage?), or you use an oversized sleeping bag which is itself tied down to a wall or other surface. But these are all too much work, and not much fun.
(…)
The best place to make it in space is in space – that is, in mid-air far from any surface. Once brought to a stop hanging in the middle of the room, which we shall call the Center Position, a couple cannot reach a wall so long as they stay together. No matter how they gyrate, bump or bounce, once their mutual center of gravity is fixed it will stay put. Even if they are drifting very slowly because of air drafts they should be okay – Skylab science pilot Edward Gibson once waited 20 minutes to drift to a new handhold after inadvertently losing his grip on an opposing wall.

So what’s the best way to achieve Center Position? There are two techniques, which may be termed ballast and impact. Using the ballast technique, the two grab hold of each other and push gently up from the floor. When they are close to Center Position, they heave a counterweight covered with sticky Velcro toward the ceiling, thus transferring their momentum to the ballast and stopping in mid-air. The ballast slaps the ceiling and sticks until retrieved.

In the impact method, which seems like more fun, the partners go to opposite walls and gently push off toward mid-room. When they meet halfway they grab each other, again neutralizing their opposite momenta and halting at Center Position. This will take some practice to get right, as the lighter member of the couple must propel her or himself slightly faster and aim must be reasonably accurate. (Robert A. Freitas Jr., „Sex in Space“, Sexology Today 48 (April 1983):58-64)

Ein weiterer Vorschlag involviert eine dritte Person als „Stabilsator“, analog zum Mythos des 3. Delphins, der seinen beiden kopulierenden Artgenossen unter Wasser ähnliche Probleme erspart. Es steht jedoch zu befürchten, dass diese Methode nur eingeschränkten Anklang finden würde. (Fakt ist übrigens, dass Delphinmännchen sich mit ihrem Penis im Weibchen festhaken können und nicht auf Hilfe angewiesen sind.) Ähnliches gilt für den extrem pragmatischen Ansatz, die Partner schlicht mit Panzerband aneinander oder irgendwo fest zu kleben. (Dies ist bisher die bevorzugte Methode bei Wiederbelebungen im Notfall; von der Problematik her ja Sex nicht ganz unähnlich.) Möglich, aber vermutlich ebenfalls unbeliebt, wäre auch die von Seeottern praktizierte Technik, bei der das Männchen sein Weibchen mit den Zähnen an der Nase festhält.

Vanna Bonta entwickelte daher lieber den sogenannten „2Suit„, einen Anzug, der an strategisch sinnvollen Stellen Reißverschlüsse und Klettband aufweist und sich so nicht nur ausdehnen, sondern mit einem anderen Anzug seiner Art verbunden werden kann. Das Paar schafft sich so ein Kleidungsstück, welches es beim Sex zusammen hält und noch dazu ohne große Vorbereitungen von der Arbeits- zur äh… Freizeitkleidung wird. Ein zusätzlicher Vorteil dieses Anzugs: Körperflüssigkeiten wie Sperma und Schweiß können nicht einfach in die Umgebung abdriften und dort Gegenstände und andere Personen verschmutzen. (Wenn wir bedenken, dass selbst ein krümelndes Sandwich schon zu ungeahnten Problemen führen kann, ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen.) Streicheln nackter Haut, spontaner Positionswechsel etc. sind mit dem 2Suit allerdings nicht möglich. Der Romantikfaktor dürfte sich daher auch hier in engen Grenzen halten.

Außerdem ist mit Anzug, Panzerband oder sonstigen Haltesystemen auch ein weiteres mögliches Problem noch nicht gelöst: Die Erektions(un)fähigkeit im All. Während die einen Astronauten von schmerzhaften morgendlichen Dauererektionen berichten und dies auf die Umverteilung der Flüssigkeiten im Körper zurückführen, berichten andere mit exakt der selben Begründung das genaue Gegenteil. Besonders anregend klingt jedenfalls beides nicht. Hinzu kommen Hinweise, dass auf längeren Flügen der Testosteronspiegel und die Libido bei Männern abnimmt. [3] Es stellt sich also zu allem Überfluss auch noch die Frage, ob man(n), wenn man(n) denn könnte, überhaupt noch will.

Für die letztgenannten Probleme bieten Medizin oder Physik wahrscheinlich praktikable Lösungen. Wie aber sieht es aus, wenn wir nicht nur Sex, sondern Fortpflanzung im All anvisieren? Genau das wird das Thema des nächsten Blogeintrags sein.

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*Jaaaajaaa, ich weiß. Männer können auch mit Männern Spaß haben und Frauen auch mit Frauen. Aber: Wir reden hier von einer angeblichen Studie. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet die US-amerikanische NASA als erste Studie zum Thema „Sex im All“ ausgerechnet homosexuelle/lesbische Personen untersucht, ist noch heute und war erst recht in den 90ern des vergangenen Jahrhunderts extrem unwahrscheinlich. Zumal es ja ultimativ darum geht, mehr über die Fortpflanzungsfähigkeit herauszufinden.

[1] I. Asimov: „Sex in a Spaceship“, Sexology (January 1973). Reprinted in Science Past – Science Future, 1975.
[2] G.I. Plakhuta-Plakutina, L.V. Serova, A.A. Dreval’, S.B. Tarabrin, „Effect of 22-day space flight factors on the state of the sex glands and reproductive capacity of rats“, Kosm Biol Aviakosm Med. 1976 Sep-Oct;10(5):40-7., http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/979120?dopt=Abstract
[3] Maria Angela Masini, Elisabetta Albi et al.: „The Impact of Long-Term Exposure to Space Environment on Adult Mammalian Organisms: A Study on Mouse Thyroid and Testis“ DOI: 10.1371/journal.pone.0035418, PLOSCollections 2012, http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0035418

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