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Solar Orbiter: The Heat is… off

Unsere Sonne ist die Energiequelle für letztendlich jedes Leben und jede Aktivität auf der Erde. Sie kann jedoch auch eine Gefahr darstellen. Die Vorgänge rund um unseren Stern zu erforschen ist daher wichtig, um nicht nur Entwicklungen zu verstehen, sondern auch Vorhersagen und ggf. Schutzmaßnahmen treffen zu können.

Daher war die Sonne bereits das Ziel einer ganzen Reihe von Missionen. Die meisten dieser Raumfahrzeuge hielten allerdings respektvoll großen Abstand von unserem Stern. Viele blieben im Erdorbit, die anderen entfernten sich nicht viel weiter als 1,5 Millionen Kilometer von der Erde und machten sich den 1. Lagrange-Punkt zunutze. (Bis auf zwei Ausnahmen: Helios 2 und die Parker Probe.) Es gibt darum immer noch Aspekte der Sonne, über die wir relativ wenig wissen, aber durchaus mehr wissen wollen und sollten.

Aus diesem Grund startet im Februar 2020 der Solar Orbiter, eine Kooperation der Europäischen Raumfahrtagentur ESA und der US-amerikanischen NASA. Er wird sich der Sonne auf bis zu 42 Millionen Kilometer nähern und hat die Aufgabe, hochaufgelöste Bilder der Sonnenoberfläche (insbesondere ihrer Pole) zu machen sowie die Heliosphäre genauer zu erforschen, die von der Sonne ausgeht und das gesamte Sonnensystem einhüllt.

Nun hat die Sonne allerdings eine Oberflächentemperatur von rund 5500°C. Die Korona sogar einige Millionen Grad Celsius. In 42 Millionen Kilometer Entfernung wird der Orbiter daher bis zu 28000W/m2 aushalten müssen – und das bis zu sieben Jahre lang. Es gilt also, das Raumfahrzeug bzw. seine Instrumente vor den Auswirkungen jener extremen Hitze zu schützen. Der Zielwert liegt bei ca. 28 kW/m2. Diesen Teilaspekt der Mission nehme ich, angeregt durch einen Dialog auf Twitter, nun etwas genauer unter die Lupe.

Solar Orbiter vs. BepiColombo

Von BepiColombo, einer Merkur-Mission, die ebenfalls relativ nah an die Sonne heran kommt, wissen wir noch, dass der Hitzeschutz unter anderem durch eine eigens entwickelte, 30-lagige weiße Keramikbeschichtung erzielt wurde. Die weiße Farbe wurde deshalb gewählt, weil Weiß besonders gut Hitze abweist. Schauen wir uns allerdings die Bilder des Solar Orbiter an, so fällt auf, dass der Hitzeschild hier schwarz ist. Warum ist das so, wenn doch der Orbiter noch 18 Millionen Kilometer näher an die Sonne heran kommen wird als BepiColombo?

Einer der großen Unterschiede zwischen den beiden Sonden besteht darin, dass BepiColombo von der Sonne und vom Merkur bestrahlt, also quasi rundum gegrillt wird, während der Solar Orbiter lediglich die Strahlung der Sonne auszuhalten hat. Obendrein hat man beim weniger komplexen Solar Orbiter und seinen Instrumenten auch mehr Platz. Daher darf der Hitzeschild hier schon von vornherein etwas einfacher und vor allem dicker ausfallen.

Der Haupt-Hitzeschild

Beim Solar Orbiter ist dieser Schild 3,1 x 2,4 Meter groß. Wie bei BepiColombo besteht auch er aus vielen einzelnen Folien-Lagen, die zur Geräteseite hin immer weniger Infrarotstrahlung nach innen leiten und somit den Großteil des Orbiters vor Hitze schützen. 

„From the front layer the heat transmitted to the spacecraft must be significantly reduced. This can be done by introducing several highly infrared reflecting layers or by using a high temperature MLI similar to the ongoing development in the BepiColombo programme. By having sufficient number of layers and by utilizing gaps with view factor to space between layers, the heat input to the spacecraft can be greatly reduced.“ (Quelle: „The Solar Orbiter Thermal Design„) 

Auf die weiße Farbe jedoch war man hier nun nicht mehr angewiesen. Sie wäre mittel- bis langfristig sogar eher ein Risikofaktor gewesen, denn sie hat den Nachteil, dass sie bei längerer bzw. intensiver Bestrahlung dunkler wird und somit auch ihre Schutzeigenschaften verändert. Das wiederum hätte die Temperaturkontrolle der Sonde selbst erschwert. Die schwarzen Materialien hingegen verändern sich nicht in diesem Ausmaß; ihre Wirkung ist daher auch längerfristig besser berechenbar. Hinzu kommt, dass der Orbiter sich auf dem Weg zur Sonne teilweise auch recht weit von dieser entfernt befinden wird. Hier wiederum muss sogar eine zu starke Auskühlung verhindert werden.

Solar Orbiter

Solar Orbiter. Credit: A. Lyngvi, ESA. Beschriftung: Ute Gerhardt

Einmal bei der Sonne angekommen wird der Solar Orbiter mit seiner Vorderseite meistens auf den Stern ausgerichtet bleiben. Sein Hitzeschild deckt dabei den größten Teil der Komponenten ab. Für einige der Instrumente ist ein Interface mit verschließbaren Öffnungen vorgesehen, das ungestörte Messungen und Aufnahmen erlaubt. Die kleinen Türchen öffnen sich jeweils nur dann, wenn das Instrument dahinter aktiv ist. Dieses Interface ist auch der Grund, warum der Hitzeschild flach ist, statt konisch. Letzteres wäre eigentlich die effizientere Form, um die Hitze abzuhalten, hätte aber die Gestaltung des Interface wesentlich verkompliziert.

Bei der Auswahl der eigentlichen Materialien für den Hitzeschild und vor allem für seine äußerste Schicht wurden verschiedene Optionen gegeneinander abgewogen:

Reine Metalle schieden aufgrund ihrer Wärmeleitfähigkeit zumindest für die äußerste Isolationsschicht von vornherein aus, da sie eine zu hohe Ausgangstemperatur zur Folge gehabt hätten. Auch viele herkömmliche Beschichtungen auf Metall hat man hierfür relativ schnell verworfen. Viele hätten die Vibrationstests schon nicht überstanden, bei anderen Materialien war es nicht möglich bzw. zu teuer, sie unter realistischen Bedingungen ausreichend lange zu testen, um festzustellen, ob und wie lange sie halten würden. Darüber hinaus befürchtete man, dass das Metall darunter sich zu schnell ausdehnen könnte, falls es doch einmal direkter Sonnenstrahlung ausgesetzt würde. In dem Fall hätte der gesamte Schild rasch versagen können.

Keramiken wurden ebenfalls schnell ad acta gelegt. Zwar wären sie insgesamt haltbarer gewesen, aber die oben bereits erwähnte zu erwartende Farbveränderung, die man ebenfalls vorab nicht testen konnte, erschien zu risikobehaftet.

Letztendlich wurde der Schild des Solar Orbiter aus einem mehrlagigen Mix von Materialien gefertigt, inklusive Kapton und Aluminium. Die so kritische äußerste Lage besteht aus Titan, welches mit schwarzem Kalziumphosphat (“Solar Black“) beschichtet bzw. verbunden ist.

Solar Orbiter mit Hitzeschild und Isolierung. Credit: Airbus Defence and Space

Solar Orbiter mit Hitzeschild und Isolierung. Credit: Airbus Defence and Space

„The heat shield comprises a series of physical barriers separated by two gaps, which allow lateral rejection of infrared radiation into the cold vacuum of space. The shield is attached to the Sun-facing side of the spacecraft by ten 1.5-mm thin „blades“ made of titanium, which separate it from the rest of the orbiter.
At the base of the heat shield is a 2.94 m × 2.56 m support panel that is about 5 cm thick. It is made of lightweight aluminium honeycomb with two carbon fibre skins that have very high thermal conductivity. The support panel is covered by 30 layers of low-temperature MLI that are able to withstand temperatures of up to 300 degrees Celsius. The insulation is designed to keep the support panel at temperatures below 150 degrees Celsius.
A series of ten star-shaped brackets attaches the support panel to an outer layer of high-temperature MLI, designed to withstand a temperature of up to 500 degrees Celsius. This state-of-the-art material is made of 20 very thin layers of titanium.
(Quelle: Solar Orbiter receives its sunblock)

Um sicherzustellen, dass während diverser Navigationsmanöver auch die seitlichen Flächen des Chassis einer kurzzeitigen Strahlungseinwirkung standhalten können, hat man sie auch mit optischen Solarreflektoren versehen.

Schutz der Instrumente
General thermal interface concept of the remote sensing instruments.

Credit: A. Lyngvi, ESA

Mit diesem äußeren Schutz alleine ist es jedoch nicht getan. Einige der an Bord befindlichen Instrumente benötigen fast Raumtemperatur, um korrekt zu funktionieren, andere müssen gar bis auf -80°C herunter gekühlt werden. Im Inneren des Solar Orbiter ist also weitere Isolierung bzw. Wärmereduktion erforderlich, wie in der nebenstehenden Grafik illustriert. Für alle Öffnungen jener Instrumente sind zudem spezielle Wärmeleitbleche im Hitzeschild vorgesehen. Zusätzlich wird jedes der Instrumente noch individuell isoliert:

Der “Visible Light Imager and Magnetograph“ (VIM) sowie der Coronograph (COR) erfordern mit ca. 20 Zentimetern die größten Öffnungen im Haupthitzeschild und sind daher die anfälligsten Instrumente. Zudem hat der COR eine externe Blende (“Occulter“), die im Betrieb recht heiß wird. Hier wird sowohl auf Abstrahlung nach außen gesetzt, als auch ein Spiegel installiert, der eine Weiterleitung der Hitze ins Innere zum Instrument verhindern soll. Der VIM wiederum erhält zu diesem Zweck einen speziellen Filter. Gleiches gilt für den “Extreme Ultra Violet Imager“ (EUI). 

Da das “Spectrometer/Telescope for Imaging X-rays“ (STIX) Röntgen- aber keine sichtbare Strahlung messen soll, benötigt es zwar eine Öffnung im zum Teil metallenen Hauptschild, aber diese Öffnung kann durchaus durch geeignete andere Komponenten abgedeckt werden. Hier stehen einige Materialien zur Verfügung, welche die Strahlung im Infrarotbereich gut reflektieren. Das “Extreme Ultra Violet Spectrometer“ (EUS) erhält eine eigene Isolierschicht hinter seinem Hauptspiegel.

Allerdings besitzt der Solar Orbiter auch Komponenten, die durch die bisherigen Maßnahmen nicht bzw. nicht über die gesamte Zeitspanne hinweg geschützt werden können. Dazu gehören zum Beispiel die Antennen des Radio-Plasmawellen-Experiments (“Radio Plasma Waves Analyzer“, RPW), die High-Gain-Antenne (HGA) und die Solarpanele. Ihren eigentlichen Zwecken entsprechend sind sie zwangsläufig außerhalb der Reichweite des Schildes angebracht. Da sie allesamt unterschiedlich aufgebaut sind und unterschiedliche Funktionen erfüllen, erfordern auch sie individuell angepasste Schutzmaßnahmen. Gleichzeitig gilt es zu verhindern, dass evtl. absorbierte Strahlung an den Rest des Orbiters weitergeleitet wird. (Der Zielwert liegt hier bei < 15 Watt.)

Die größte Herausforderung stellen in diesem Zusammenhang die Solarpanele dar, welche sowohl in weiter Entfernung als auch nahe der Sonne funktionstüchtig bleiben müssen. Zwar kann ein Teil der Sonnenstrahlung durch Kippen der Panele in einen passenden Winkel gemieden werden, aber dieser Maßnahme sind relativ enge Grenzen gesetzt, da es zu Kanteneffekten, internen Spiegelungen und unvorhersehbaren Materialschädigungen kommen kann. Abhilfe schaffen soll hier eine Kombination aus Solarzellen und optischen Reflektoren. 

Weniger kritisch sind hingegen die drei jeweils sechs Meter langen RPW-Antennen, die auch bei hohen Temperaturen arbeiten. Vermeiden musste man hier eher einen Zerfall der Materialien unter Strahlungseinwirkung.

Die HGA des Solar Orbiter ist in ihren Grundzügen ein Erbstück von BepiColombo, wurde aber natürlich den Erfordernissen des Solar Orbiter angepasst. Sie kann zwar je nach Bedarf hinter dem Haupthitzeschild geschützt werden, muss allerdings zumindest zeitweilig auch über diesen hinaus ragen, um eine gute Verbindung zur Bodenkontrolle auf der Erde zu gewährleisten. Dabei sollte nicht nur Überhitzung vermieden, sondern auch sichergestellt werden, dass keine elektrostatische Aufladung entsteht, denn diese würde die Datenübertragung beeinträchtigen. Aus diesem Grund hat man auch für die High-Gain-Antenne mit Solar Black beschichtetes Titan als Hauptmaterial gewählt. Daneben kommt bei den Verstrebungen unter anderem auch Silikonkarbid zum Einsatz. 

Tests

Wie bei jeder Mission hat man auch den Solar Orbiter bzw. das “Solar Orbiter Proto Flight Model“ während des gesamten Produktionsprozesses immer wieder intensiv getestet, sowohl auf Ebene einzelner Materialien als auch auf der von komplexeren Bauteilen, Baugruppen und letztendlich dem gesamten Raumfahrzeug. (Dabei kamen natürlich in diversen Testverfahren auch die mechanischen Eigenschaften auf den Prüfstand.) Um seine Widerstandsfähigkeit speziell gegen Hitze zu prüfen, wurde das Modell im Testzentrum des IABG in Ottobrunn simulierter Sonnenstrahlung in einer Vakuumkammer ausgesetzt. Man stellte sowohl Manöversituationen als auch die direkte und dauerhafte Ausrichtung auf die Sonne nach, um sicher gehen zu können, dass alle Seiten des Raumfahrzeugs den erwarteten Belastungen standhalten können. 

Sämtliche Tests wurden im Herbst 2019 erfolgreich abgeschlossen. Der Solar Orbiter wurde Ende Oktober nach Florida transportiert und wartet nun auf seinen Start an Bord einer Atlas V 411. Seine Reise zur Sonne wird rund zwei Jahre dauern, die gesamte Mission bis zu zehn. 

 

 


Weiterführende Artikel:
ESA’s Solar Orbiter Website
eOPortal, Solar Orbiter Mission
Solar Orbiter: Exploring the Sun-heliosphere connection
Paint it black: Stone Age sunscreen for Solar Orbiter
The Solar Orbiter Thermal Design 
#1: Antenna’s European journey to join Solar Orbiter
Teamwork with Parker Solar Probe

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