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V3PO – Wie kommt man schneller an mehr Grünzeug?

Pflanzen an Bord eines Raumfahrzeugs sind die ideale Ergänzung zur menschlichen Besatzung. Sie produzieren Sauerstoff, sie bereiten Grauwasser auf, sie wirken ausgleichend auf die Psyche und liefern obendrein noch Nahrung. Allerdings hat die Sache einen kleinen Haken: Das Ansinnen, den gesamten benötigten Grünzeugvorrat für eine längere Mission mal eben von der Erde mit an Bord zu nehmen, ist nicht nur wegen des chronischen Platzmangels ziemlich illusorisch. Jedes Extrakilo kostet obendrein auch extra Treibstoff. Und was Essbares angeht, kann man zig Kisten frische Erdbeeren, Salat und Radieschen auch gar nicht so schnell essen wie der Inhalt verderben würde.

Bleibt also, Samen mitzunehmen und an Bord bei Adam und Eva mit dem Anbau zu beginnen. Das klingt nicht nur mühsam, sondern ist es auch. Es hat aber auch eine Reihe von Vorteilen. Samen nehmen – wenn man es nicht gerade auf Seychellenpalmen abgesehen hat – wenig Platz weg und sind relativ leicht. Sie sind auch nicht sonderlich anfällig für Transportschäden, sie können lange gelagert werden und bei der Auswahl so gemischt, dass beim Anbau möglichst große genetische Vielfalt gewährleistet ist. Allerdings dauert es seine Zeit, bis sie keimen und die Pflanzen voll ausgewachsen sind. Zeit, die man an Bord oft nicht hat. Obendrein können Faktoren wie Strahlung und der Wegfall der Schwerkraft zu Problemen bei der Vermehrung führen. So fielen in bisherigen Versuchen zum Beispiel Pollenschläuche unter Schwerelosigkeit um ca. 8% dünner aus als unter normalen Bedingungen. Eine Befruchtung und die anschließende Samenbildung wird damit erschwert, wenn nicht gar verhindert. [1] Strahlung ihrerseits schädigt ggf. das Erbgut, so dass erfolgreich gebildete Samen am Ende vielleicht gar nicht keimen oder unbrauchbare Pflanzen hervorbringen. [2]

V3PO

Es gibt jedoch eine Alternative bzw. Ergänzung zur generativen Vermehrung über Befruchtung und Samen: Die sogenannte vegetative Vermehrung, also den Anbau aus Stecklingen etc. Vegetative Vermehrung ist quasi das „What You See Is What You Get“ der Botanik: Ein abgetrennter Steckling hat zwangsläufig dieselben Erbanlagen und – gleiche Umweltbedingungen vorausgesetzt – dieselben Eigenschaften wie das Exemplar, von dem er stammt. Die aus ihm entstehende Pflanze ist ein Klon. Man steckt ihn in eine Nährlösung (oft reicht auch schon einfaches Wasser), wartet, bis er erste Wurzeln hat, pflanzt ihn dann an seinen Bestimmungsort und lässt ihn weiter wachsen. Fertig. Das hat wahrscheinlich jeder von uns schon mal irgendwann mit irgendeiner Pflanze gemacht. In vielen Fällen geht das ziemlich schnell, und einige Pflanzen erledigen dies sogar ganz von alleine. Erdbeeren oder Vallisnerien beispielsweise über ihr sogenanntes Rhizom, oder sämtliche Zwiebelgewächse über ihre Brutzwiebeln.

Die Frage ist nur, ob man den Steckling auch im Orbit bzw. im All dazu bringen kann, sich zu einer kompletten Pflanze weiter zu entwickeln. Hierüber macht sich zur Zeit ein Schülerteam aus Ravensburg Gedanken. Ihr Projekt „V3PO“ steht für „Vegetative Vermehrungsfähigkeit Von Pflanzen im Orbit“ und wird – falls die Finanzierung klappt – demnächst Teil des NASA Education Programms auf der ISS sein.

Ist es möglich, auf einer Raumstation pflanzliche Nahrungsmittel in einer größeren Menge mit gleicher Qualität zu produzieren und damit die Versorgung der Astronauten mit frischem Gemüse auf langen Missionen gewährleisten zu können? (…) Im Gegensatz [zur generativen Vermehrung] kann durch die vegetative Vermehrung (z.B. Stecklinge) ein einheitlicher Bestand erreicht werden. Zudem gewährleistet die vegetative Vermehrung den Bestand auch dann, wenn Pflanzen nur wenig, schlecht keimfähige oder gar keine Samen hervorbringen. (Quelle: https://www.sciencestarter.de/v3po)

Die Schüler beschäftigen sich hauptsächlich mit der Frage, ob Stecklinge unter Schwerelosigkeit ausreichend Wurzeln und Knospen ausbilden und ob diese sich korrekt im Raum orientieren werden. Bisherige Versuche weisen darauf hin, dass ihr Experiment gute Chancen auf Erfolg hat. Süßkartoffel-Stecklinge zum Beispiel bildeten in einem ähnlichen Experiment sogar mehr und längere Wurzeln aus als die Kontrollgruppe auf der Erde:

Bisherige Erkenntnisse

All stem cuttings produced adventitious roots and growth was quite vigorous in both ground-based and flight samples and, except for a slight browning of some root tips in the flight samples, all stem cuttings appeared normal. The roots on the flight cuttings tended to grow in random directions. Also, stem cuttings grown in microgravity had more roots and greater total root length than ground-based controls. (…) Despite the greater accumulation of carbohydrates in the stems, and greater root growth in the flight cuttings, overall results showed minimal differences in cell development between space flight and ground-based tissues. This suggests that the space flight environment did not adversely impact sweetpotato metabolism and that vegetative cuttings should be an acceptable approach for propagating sweetpotato plants for space applications. [3]

Zwar waren die Wurzeln nicht normal ausgerichtet, aber Versuche mit anderen Pflanzen wie Schaumkresse (Arabidopsis) haben ergeben, dass sich die Wachstumsrichtung unter Umständen durch passende Beleuchtung korrigieren lässt:

Skewing and waving, thought to be gravity dependent phenomena, occur in spaceflight plants. In the presence of an orienting light source, phenotypic trends in skewing are gravity independent (…) [4]

Das V3PO-Team hat sich für Ficus Pumila, eine Feigenart, als Versuchsobjekt entschieden. Auch hier sind sicherlich interessante Erkenntnisse zu erwarten, denn es bilden nicht alle Stecklinge aller Pflanzenarten gleichermaßen bereitwillig Wurzeln aus. Bei manchen geht es sehr schnell, bei anderen dauert der Prozess sehr lange. Dies lässt sich notfalls allerdings chemisch beschleunigen, wie man schon seit 1957 weiß [5]. Es ist dazu nicht einmal notwendig, Stecklinge im ursprünglichen Sinn, also ganze Blätter, Sprosse etc., zu verwenden. Schon ein relativ kleines, aus einem Blatt ausgestanztes Teil kann durchaus wieder zu einer ganzen Pflanze heranwachsen. Im Extremfall reichen einzelne Zellen. Auf diese Weise wäre es im Prinzip möglich, aus einer einzigen Mutterpflanze in relativ kurzer Zeit eine ganze Plantage entstehen zu lassen. [6]

Vor- und Nachteile

Bei langsam keimenden Pflanzen oder auch solchen, die gar nur einmal im Leben blühen und Samen bilden, ist die vegetative Vermehrung in der Tat eine gute Option, um die Besatzung eines Raumfahrzeugs schneller mit den gewünschten Pflanzen in gleichbleibender Qualität zu versorgen. Anbau und Ernte werden bzgl. Dauer und Umfang besser planbar und gehen zügiger vonstatten. Zudem hat man es direkt mit vergleichsweise robusten, adulten Pflanzen zu tun, statt mit empfindlichen Keimlingen. Auch die Gefahr, dass Strahlungsschäden eine ganze Generation unbrauchbar machen, ist reduziert. Sie können zwar an einzelnen Teilen einer Pflanze auftreten, aber in den meisten Fällen wird man noch genügend gesunde Teile übrig haben, die man weiterverwenden kann.

Ist vegetative Vermehrung nun also das Nonplusultra des Pflanzenanbaus im All? Ich denke nicht. Bei Pflanzen wie z. B. Getreide oder anderen schnell keimenden Arten (Kresse!) ist es wahrscheinlich ohnehin sinniger, direkt Samen zu verwenden und auf die vegetative Vermehrung nur bei Fehlentwicklungen zurück zu greifen. Auch Neuzüchtungen werden in vielen Fällen die generative Vermehrung erfordern. Hinzu kommt: Genetische Vielfalt durch generative Vermehrung hat einen nicht zu unterschätzenden Wert. Gerade in einem Umfeld wie einem Raumfahrzeug, wo Nachschub schwer zu organisieren ist. Stellen wir uns vor, wir sind unterwegs zum Mars oder noch weiter und es bricht eine Krankheit unter einer Pflanzenart aus. Oder man entdeckt erst mit einiger zeitlicher Verzögerung eine unerwünschte Eigenschaft wie Fäulnisanfälligkeit an der Originalpflanze. Wenn alle Jungpflanzen nun von diesem einen Exemplar geklont wurden, wird man in solchen Fällen Mühe haben, den Bestand zu retten. Hat man aber weitere Exemplare bzw. Samen mit anderem Genom, stehen die Chancen ganz gut, dass sich darunter brauchbarer Ersatz findet. Klonen kann man zur Not immer noch. Es ist aber wie schon angedeutet auch gar keine Frage von entweder – oder, generativ oder vegetativ. Beides kann gleichzeitig oder nacheinander erfolgen; die Methoden ergänzen einander.

Wer das Projekt der Schüler unterstüzten möchte, kann das über ihre Sciencestarter-Seite tun, wer den Fortschritt verfolgen möchte, findet sie auf Twitter unter @JufoV3PO. In jedem Fall wünsche ich dem Team allen erdenklichen Erfolg bei der Finanzierung und Durchführung!

………………….

[1] http://www.livescience.com/27868-plant-sex-zero-gravity.html

[2] http://www.spacesafetymagazine.com/2012/09/04/chinese-space-radiation-mutate-food-crops/

[3] Mortley, Bonsi et al.: „Influence of Microgravity Environment on Root Growth, Soluble Sugars, and Starch Concentration of Sweetpotato Stem Cuttings„, J Am Soc Hortic Sci. 2008 May 1; 133(3): 327–332.

[4] http://www.biomedcentral.com/1471-2229/12/232

[5] Skoog F, Miller CO: „Chemical regulation of growth and organ formation in plant tissue cultured in vitro. Symposia of the Society for Experimental Biology 1957;11:118-131., zitiert in [6]

[6] Ray J. Rose1, Xin-Ding Wang1, Kim E. Nolan1 and Barry G. Rolfe2, „Root meristems in Medicago truncatula tissue culture arise from vascular-derived procambial-like cells in a process regulated by ethylene„, J. Exp. Bot. (2006) 57 (10): 2227-2235. doi: 10.1093/jxb/erj187

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