Allgemein, Persönliches

Moon Rock 15536

Da links erwähnte ich es ja schon: Der Hauptschuldige an meiner Weltraumbegeisterung ist mein Vater. Nicht nur, weil er mir eines Abends sein Fernglas vermacht hat, mit dem ich mir dann erstmal den Mond ansah, sondern weil er auch selbst ein Faible für alles hat, was mit dem All zusammenhängt. (Nebenbei ist er auch noch Hobbymeteorologe, und zwar ein verflixt guter.)

Allerdings hat die Sache einen kleinen Haken: Mein Vater kam bereits mit einer Augenerkrankung zur Welt und erblindete mit 25 Jahren komplett. Nun ist die Astronomie für Blinde allerdings gelinde gesagt nicht gerade das zugänglichste aller Hobbys. Das hat meinen Vater aber nie davon abgehalten, sich so weit es ging weiter damit zu beschäftigen und seine Kenntnisse auch an mich weiterzugeben. Meine Mutter war ebenfalls fast blind – und so wuchs ich also in einem Haushalt auf, in dem alles auf diese Behinderung abgestimmt und entsprechend gekennzeichnet war. Unter anderem hing so weit meine Erinnerung überhaupt zurück reicht Folgendes an einer unserer Wände: (Ein Klick vergrößert das Foto.)

Credit: Ute Gerhardt, Moon Rock 15536

Credit: Ute Gerhardt, Moon Rock 15536

Es ist ein Bild der Mond-Gesteinsprobe 15536, gesammelt von Apollo 15 im Jahr 1971. Es ist aber auch gleichzeitig ein ziemlich ausgeprägtes Relief. Geht man mit den Fingern darüber, hat man tatsächlich das Gefühl, über einen Stein zu streichen. Es ist rauh und kühl, es hat Vertiefungen und eine deutliche Körnung, und ich war als Kind fasziniert von diesem Ding. Am unteren Rand steht in Braille-Vollschrift* dasselbe wie unterhalb des Bildes in Schwarzschrift: „Moon Rock No. 15536“ links, und auf der rechten Seite dann: „Apollo 15 July 26 – Aug. 7 1971“. Auf der Rückseite findet sich folgende Erläuterung: (Ein Klick vergrößert das Foto.)

Credit: Ute Gerhardt, Moon Rock 15536, Rückseite

Credit: Ute Gerhardt, Moon Rock 15536, Rückseite

Das Relief ist im Grunde ein typisches haptisches Blindenhilfsmittel, wie meine Eltern derer viele besaßen, nur wesentlich elaborierter als die meisten anderen. Ich weiß nicht, warum mir dieser Punkt nie auffiel. Mein Vater hatte das Relief nach eigener Aussage auf irgendeiner Fortbildungsveranstaltung für Blinde gekauft. Sein Blindenatlas war ganz ähnlich gestaltet, hatte allerdings keine Farben. Er bestand aus sehr kräftiger blauer Folie, in die mittels einer Tiefziehpresse die Formen und Verläufe von Flüssen, Gebirgen, Landesgrenzen etc. eingeprägt worden waren. In diesem Atlas gab es auch eine kleine Sektion mit 3D-Mondkraterlandschaften. Man konnte kleine Matchboxautos darin herum fahren lassen, und soweit ich mich erinnern kann, habe ich das auch getan, wann immer sich die Gelegenheit bot. *g*

Als ich 1989 von zu Hause auszog und anfing zu studieren, schenkte mein Vater mir das Relief der Mondgesteinsprobe. Es hing fortan in Studentenwohnheimen, WGs und untergemieteten Zimmern, in meiner ersten, zweiten und dritten Wohnung und steht heute auf einer kleinen Staffelei im Wohnzimmer.

In einem Anfall von Pfingstsauberkeitswahn staubte ich sie heute abend mal wieder ab, und da kam mir die Idee, doch aus Jux einfach mal zu googeln, was es mit diesem „Moon Rock 15536“ wohl genauer auf sich hat. Gefunden habe ich unter anderem eine Analyse der Zusammensetzung (PDF), die mir der arme Lars wohl demnächst mal wird erläutern müssen, sowie… einen Link zu einem Auktionshaus.

Von wegen „Hilfsmittel“. ^^ Ich weiß nicht, wie groß die Auflage dieses Reliefs gewesen ist. Aber ich gehe jede Wette ein: Kein anderes Exemplar hat so gute und handfeste Dienste geleistet wie dieses eine. Soll mir noch einer sagen, Kunst sei im Alltag nutzlos!

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* Die Buchstaben des Braille-Alphabets basieren auf einem System von 6 Punkten, die wie die Sechs auf einem Würfel angeordnet sind. Jedem Buchstaben ist hierbei eine bestimmte Kombination von Punkten aus dieser Matrix zugewiesen. Brailleschrift und die daraus entstehenden Bücher verbrauchen eine Menge Platz. Man kann die Buchstaben und Zeilenabstände ja nur bedingt verkleinern, weil ab einem gewissen Grad das „Auflösungsvermögen“ der Fingerkuppen nicht mehr ausreicht, um die verschiedenen Punktkombinationen voneinander zu unterscheiden und zu trennen. Um dennoch Platz und beim Lesen Zeit sparen zu können, gibt es neben der Vollschrift (= fast alle Buchstaben werden ausgeschrieben) die sogenannte „Kurzschrift“, ähnlich der Stenografie. Diese habe ich nie leider gelernt. Vollschrift jedoch schon.

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