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Weltraum-GPS

Wer ein Raumfahrzeug auf eine Mission schickt, wird in aller Regel auch wissen wollen, wo es sich nach Zeitspanne X, Y oder Z befindet. Sei es, um den Kurs ggf. zu korrigieren, sei es, um den genauen Ort von Bildaufnahmen bestimmen zu können etc.

Für Objekte, die permanent relativ erdnah unterwegs sind, kann man hierfür Satelliten verwenden. Bei Sonden wie z.B. Pioneer reichen diese jedoch nicht aus. Bisher hat man hierfür also die sogenannte „Triangulation“ oder „Trilateration“ genutzt. Ganz grob erklärt: Das Raumfahrzeug sendet ein Signal aus, welches an mehreren Tracking-Stationen auf der Erde empfangen werden kann. Je nach Position kommt das Signal beim einen Tracker etwas eher, beim nächsten etwas später an. Aus den unterschiedlichen Empfangszeitpunkten wird die Position des Senders errechnet. Das Ganze ist quasi ein GPS-System mit umgekehrten Vorzeichen.

Diese Methode (bzw. eigentlich die verwendeteten Mittel) hat allerdings einige Nachteile. Zum einen werden die Radiosignale mit wachsender Distanz zwischen Sender und Empfänger störungsanfälliger. Zum anderen funktioniert diese Methode nur dann akkurat, wenn sich der Sender in einer geraden Linie vom Empfänger entfernt. Das ist bei Weltraumflügen meist nicht der Fall, so dass sich z.T. erhebliche Ungenauigkeiten ergeben, in der Größenordnung von mehreren hundert Kilometern. Drittens verbraucht Funk relativ viel Energie. Und zu guter letzt brauchen die Signale mit wachsender Distanz immer länger, um die Erde überhaupt zu erreichen. Die Daten von Voyager 2 benötigen hierfür mittlerweile ca. einen halben Tag.

Man bemerkt es schnell: Für den Bereich unseres Sonnensystems mögen die bisherigen Techniken zur Positionsbestimmung ausreichen. Für interstellare Missionen – bemannt oder unbemannt – hingegen eher nicht. Triangulation ist zwar im Grunde ein sehr cleveres Navigationsprinzip. Sein Schwachpunkt jedoch ist bei der aktuellen technischen Umsetzung die Erdgebundenheit. Was man daher bräuchte, sind erdunabhängige, verlässliche Orientierungspunkte. Wie zum Beispiel eine bestimmte Art von Pulsaren.

Ein Pulsar – Was ist das?

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Abb 1., Pulsar. Quelle: Wikipedia. CC -Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.

Pulsare sind Neutronensterne und somit Sternleichen. Ob aus einem sterbenden Stern ein weißer Zwerg, ein Neutronenstern oder gar ein schwarzes Loch hervorgeht, wird durch die ursprüngliche Masse des Sterns bestimmt. Hatte dieser zwischen 8 und 30 Sonnenmassen, entsteht am Ende seiner Lebenszeit, nach der Supernova, ein Neutronenstern. Die Restmasse von schätzungsweise 1,5 Sonnenmassen komprimiert sich zu einer Kugel mit einem Radius von ca. 10 Kilometern. Da diese Masse nur noch aus Neutronen besteht, statt aus Atomen oder gar Molekülen, kann man sich Neutronensterne im Prinzip vorstellen wie gigantische Atomkerne. [1] Sie drehen sich extrem schnell und und senden dabei elektromagnetische Strahlung aus.

Nicht jeder Neutronenstern ist jedoch ein Pulsar. Pulsare weisen zudem eine Abweichung zwischen ihrer Dreh- (Abb. 1, grüne Linie, blauer Pfeil) und der Magnetfeldachse (Kurven) auf. Erst hierdurch entstehen die charakteristischen Signale im Rhythmus der Rotationsgeschwindigkeit des Pulsars. (Auf der obigen Abbildung sind sie als schmaler, blauer Emissionskonus auf jeder der beiden Hemisphären dargestellt.) Dadurch scheinen sie aus unserer Perspektive zu blinken oder zu pulsieren.

GPS zum Mitnehmen

Voyager, Golden Record

Voyager, Golden Record

Das diese sehr speziellen Himmelskörper auch zur Orientierung im Interstellaren Raum dienen könnten, stand rasch fest. Bereits auf der goldenen Plakette von „Voyager“ (1977) befand sich eine Zeichnung, die auf den ersten Blick an einen unregelmäßigen Igelball erinnert. Es handelt sich hier um die Darstellung von 14 die Erde umgebende Pulsare, aus deren Kombination Bewohner anderer Sonnensysteme die Position der Erde ableiten könnten.

In den Jahren 1983 und 2005 gab es erste Ansätze, und in 2010/2011 [2] schlug der Turiner Wissenschaftler Luca Ruggiero mit seinen Kollegen konkret vor, Pulsare heran zu ziehen, um auch irdischen Raumfahrern ein autonomes Navigationssystem für Interstellarreisen zur Verfügung zu stellen. Ein Team der Max-Planck-Institute für extraterrestrische Physik bzw. für Radioastronomie hat diesen Vorschlag nun unter der Leitung von Werner Becker wieder aufgegriffen und weiter ausgearbeitet. [1]

Drei bis zehn Pulsare und ein fixer Referenzpunkt (z.B. die Sonne oder irgendein anderer Stern) werden festgelegt. Die Ankunftszeiten der Pulsar-Signale am Referenzpunkt werden ermittelt und mit der Ankunftszeit der Signale an Bord verglichen. Aus der zeitlichen Differenz wird – wie schon oben beschrieben, die Position des Raumfahrzeugs, bzw. der Sonde errechnet, genau wie beim irdischen GPS.

Die begrenzte Winkel-Auflösung der bisher üblichen Radioantennen, und die daraus resultierenden großen Messungenauigkeiten, wäre damit kein Problem mehr; die Position könnte bis auf sehr wenige Kilometer genau bestimmt werden. Somit wäre diese Methode auch für die Navigation durch Astroidenfelder und ähnliches geeignet. Hinzu kommt, dass es nur von Vorteil sein kann, wenn man – bei wachsendem Verkehr im All – nicht sämtliche Signale auf der Erde verarbeiten muss.

pulsarnaviQuelle: [1]

Es eignet sich allerdings nicht jeder Pulsar für diese Art von Navigationssystem. Voraussetzung ist eine rasche Signalfrequenz, die über lange Zeit stabil bleibt. Die ist bei sogenannten rotationsgetriebenen Pulsaren der Fall. Allerdings kommt auch von dieser Gruppe nur die Teilmenge der sog. Millisekunden-Pulsare in Frage. Wie ihr Name bereits verrät, weisen sie Rotationsperioden von lediglich wenigen Millisekunden auf, mit einer Zuverlässigkeit, die mit der einer Atomuhr vergleichbar ist. Es handelt sich bei den Millisekunden-Pulsaren um sehr alte Pulsare, deren Magnetfeld verhältnismäßig schwach ist und daher erwarten lässt, dass ihre Rotationsperiode über lange Zeit stabil bleiben wird.

Signale – aber welche?

Das Praktische an Pulsar-Signalen ist, dass sie insgesamt eine relativ große Bandbreite abdecken. Im Bereich der Radiowellen und der Röntgenstrahlung sind Pulsare am leichtesten aufzuspüren. Je nach Größe des Raumfahrzeuges und Zweck der Mission kann man sich also die am besten geeignete Frequenz heraussuchen, abhängig vom für die Antennen zur Verfügung stehenden Platz, dem Energieverbrauch oder dem zulässigen Gewicht. Interessant in diesem Zusammenhang sind z.B. die sich gerade in der Entwicklung befindlichen, sehr leichtgewichtigen Röntgenspiegelsysteme, die in einigen Jahren in puncto Kompaktheit und Leichtigkeit die Systeme für dem Empfang von Radiowellen in den Schatten stellen werden. Röntgenstrahlung könnte dann also auch für die Navigation von kleineren Fahrzeugen genutzt werden. Größere Fahrzeuge mit Platz für große Antennen könnten weiterhin auf Radiowellen zurückgreifen, da in diesem Bereich mehr über Pulsare bekannt ist und Radiowellen bisher auch akkurater gemessen werden können.

Weitere Anwendungen

Es versteht sich von selbst, dass die Navigation mittels Pulsar nicht nur Interstellarflügen vorbehalten ist. Zumal wir für solche noch gar nicht über eine geeignete Antriebstechnik verfügen. Denkbar wäre ebenso eine Anwendung bei Mond- und Marsmissionen, für die Satellitenpositionskontrolle oder generell als Backup-System für die eigentliche Navigation.

Nach Einschätzung von Werner Becker wird das Pulsar-Navigationssystem in ca. 30 Jahren erstmalig eingesetzt werden. Es bleibt angesichts der Kosten allerdings die Frage, ob auch der rapide wachsende private Sektor so schnell darauf zurückgreifen wird.

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[2] Matteo Luca Ruggiero, Emiliano Capolongo, Angelo Tartaglia: „Pulsars as celestial beacons to detect the motion of the Earth“, 2010
[1] Werner Becker, Mike G. Bernhardt, Axel Jessner: „Autonomous Spacecraft Navigation With Pulsars“, 2013

  1. Sehr schöner Artikel! Das Thema wird locker, anschaulich und umfangreich behandelt. 🙂

    Eine kurze Frage habe ich aber:
    Die Software in der Raumsonde kann durch diese Technik den eigenen Standpunkt ja nun selbst berechnen (oder zumindest zu einem Teil). Aber das ganze ist ja nur von Nutzen, wenn diese Position zurück auf die Erde geschickt wird. Damit ist das Problem des kostenintensiven Funkspruches nicht gelöst, oder? Oder ist es in der Tat so, dass die Datenmenge, die zur Erde geschickt werden muss, beträchtlich kleiner ist? (Das wäre für mich auf den ersten Blick nicht notwendigerweise gegeben.)

  2. Das müsste ich mal recherchieren, gute Frage.

    Ich tippe aber, eine eigene Berechnung ist im Prinzip immer vollständig möglich, da man auch Bilder von umgebenden Konstellationen mit hinzuziehen könnte. Falls das Fahrzeug bemannt sein sollte, bräuchte die Crew dann gar nichts mehr zur Erde zu senden. Außer vielleicht ab und zu mal einen Report. ^^

    Bei unbemannten Fahrzeugen könnte man sich überlegen, ob man den Funk an die Erde auf Infrarotlaser umstellt. Dazu hatte ich auch mal was geschrieben: http://leavingorbit.de/2013/03/20/llcd-kommunikation-laser/ (Da kenne ich allerdings ad hoc die Reichweite nicht. Interstellar könnte eng werden.)

  3. Stimmt, bemannte Raumfahrten müssten dann nicht notwendigerweise auf die Erde zurückfunken. Doch vermute ich – wenn ich ein bisschen von der Frage abschweifen darf – dass bemannte Raumfahrten noch lange nicht über solche Distanzen geschehen werden, bei denen man nicht mit den herkömmlichen, in deinem Artikel beschriebenen Möglichkeiten zur Positionsbestimmung auskommt. (Dann spricht natürlich trotzdem nichts gegen einen Einsatz dieser neuen Technik, wenn sie Vorteile bringt, eh klar.) Meiner Einschätzung nach eines der größten Probleme, die länger nicht gelöst werden könnten, ist die enorme Strahlenbelastung außerhalb der Erdatmosphäre. Dafür sind wir Menschen halt nicht ausgelegt.
    So toll es auch sein würde, wenn Menschen z. B. auf den Mars fliegen, der ja in kosmischen Maßstäben gleich um die Ecke ist – ich bin pessimistisch, was eine bemannte Marsmission in den nächsten Jahrzehnten angeht. Ich will ja kein Spielverderber sein, aber in einem universitären Vortrag habe ich mal gehört, dass (statistisch gesehen) die Hälfte der Crew an den Folgen der Strahlung (Krebs, Tumore, etc.) schon auf dem Hinweg sterben würde. Das „One-Way-Marsticket“, das manchmal diskutiert wird, dürfte also nicht nur finanzielle oder rein „Fahrzeugbau-technische“ Gründe haben. Leider.
    Ich befürchte also, dass interstellare, bemannte Missionen in der nahen und (mittel-)fernen (?) Zukunft nicht realisierbar sind. (Und da hab ich noch gar nicht vom der zu kurzen Lebensdauer der Astronauten gesprochen… Aber ich muss jetzt wirklich auch mal ans Fertigwerden mit dem Kommentar denken! 😉 )

    Der andere Artikel ist auch toll! (Deinen Blog zu durchforsten, habe ich eh schon auf meine imaginäre „Darf-ich-echt-nicht-vergessen-zu-machen“-Liste gesetzt. 😉 )

  4. Och, so wild ist das Strahlungsrisiko zum Mars nicht. Siehe http://leavingorbit.de/2013/06/03/gesundheitsrisiko-marsflug/ Die Abschirmung könnte man evtl. mit Wasser oder Eis zwischen Metall hinkriegen. Ist halt eine Gewichts- bzw. Treibstofffrage.

    Mir würden auf dem Mars eher die Sandstürme Sorgen machen, denn das, was da teilweise wochenalng rumfliegt, ist scharfkantig und pulverfein. Ich könnte mir vorstellen, dass es da den Habitats ziemlich fix an den Kragen geht.

  5. Hui, ebenfalls ein lesenswerter Artikel! 🙂
    Ich denke, das Problem ist nach wie vor das Gewicht, das eine ausreichende Abschirmung von Strahlung mit sich bringt. Je dichter ein Material ist, desto undurchdringlicher ist es für Strahlung. Deshalb nimmt man ja gerne Blei dafür her. (Ironischerweise würde sich ja auch Uran gut dafür eignen.) Das Problem dürfte also einfach das notwendige Gewicht der Strahlenschutzeinrichtung sein, die eine Marsmission (noch) unmöglich macht. Das habe ich im vorherigen Kommentar nicht wirklich betont, obwohl ich es im Hinterkopf hatte. Man weiß also, welche Materialien vor Strahlung schützen können, allerdings kann man die aus gewichttechnischen Gründen nicht ins All bringen. Da gehört neue Technologie her. (Wird aber eh teilweise brav geforscht, soweit ich weiß.)

    Naja… ich muss aber auch dazusagen, dass ich mich da auf wenige Quellen stütze, denen ich einfach mehr oder weniger nachplappere, wenn’s für mich halbwegs logisch klingt. Du hast dich mit dem Thema sicher gründlicher beschäftigt als ich, und wenn du sagst, ich rede Blödsinn, dann akzeptiere ich das 😉

  6. Eine Marsmission ist auch mit heutigen Abschirmungsmöglichkeiten theoretisch schon möglich. Der Russe Valeri Poljakow war seinerzeit z.B. bereits 14 Monate an Bord der MIR. Das entspricht in etwa einer Reise zum Mars mit kurzem Aufenthalt und Rückflug.Er hatte bei seiner Rückkehr zwar gewisse Anpassungsschwierigkeiten, hat aber nach meinen Rechercheergebnissen keine bleibenden Schäden davongetragen.

  7. Das scheint ein gutes Argument zu sein, muss ich sagen! Danke für die Infos! 🙂
    (Dazu passend, 2015 wird der amerikanische Astronaut Scott Kelly für ein Jahr auf die ISS fliegen. Sein Zwillingsbruder bleibt als Vergleichsperson auf der Erde. Aber das hast du eh sicher schon gehört 😉 )

  8. Hui, nein, das wusste ich noch nicht! Danke! Das verblogge ich dann natürlich auch. 🙂

  9. zB: http://www.nbcnews.com/science/identical-twin-astronauts-be-used-space-lab-rats-6C10860675

    Es gibt allerdings auch Bedenken über die Aussagekraft dieses Experiments. Immerhin betrachtet man nur zwei Individuen ohne Vergleichspersonen. Es könnte u. U. schwierig sein, eventuelle körperliche Veränderungen *eindeutig* als Folgen des Weltraumaufenthalts zu identifizieren. Die NASA ist sich dessen bewusst, will aber diese bislang einmalige Gelegenheit nicht auslassen. (In etwa so stand das in einem Artikel, den ich gelesen habe, jetzt aber leider nicht mehr finde.)
    Freue mich auf deinen Artikel! 😉

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